Kirchhof
Was zwei alte Grabsteine auf dem Untersotzbacher Kirchhof erzählen können.
Veröffentlicht im Birsteiner Heimatboten, Jahrgang 2017, freundlicherweise zur Verfügung gestellt von Peter Kauck
In früheren Zeiten war es allgemein üblich, daß die Verstorbenen auf dem Platz um die Kirche, auf dem Kirchhof, ihre letzte Ruhe fanden. So wird auch heute zuweilen noch der Begriff „Kirchhof“ gleichbedeutend mit „Friedhof“ benutzt. Erst Mitte des 19. Jahrhunderts wurden neue Friedhöfe außerhalb unserer Dörfer angelegt. Auf den Pfeilern am Eingang des Obersotzbacher Friedhofes beispielsweise ist noch die Inschrift „1849 ANNO“ zu erkennen. Auf dem Untersotzbacher Kirchhof haben drei Grabsteine aus dem 17. und 18. Jahrhundert die Zeiten überdauert. Sie sind rechts neben der Kirche aufgestellt. An welcher Stelle des Kirchhofs diese Grabdenkmäler ursprünglich standen, ist nicht mehr bekannt.
Hier sollen die beiden, aus rotem Sandstein gefertigten Grabsteine beschrieben werden, links der von 1685 zum Gedenken an Lentz und Gertraut Koch und der mittlere von 1753 für Anna Catharina Weber. Sehen wir uns zuerst den älteren Grabstein für Lentz und Gertraut Koch an. Lentz - der Ursprung dieses Vornamens dürfte bei einem alten lateinischen Namen zu suchen sein: „Laurentius“, der sich im Deutschen zu „Lauren(t)z“ bezw. „Loren(t)z“ wandelte. Im allgemeinen Sprachgebrauch wurde das Wort dann noch abgekürzt und so rückte der Anfangsbuchstabe direkt vor die Endsilbe: L(or)entz = Lentz, der hat aber nichts mit dem Frühling zu tun. Zwischendurch gesagt, wäre es eine Überlegung, ob sich der Untersotzbacher Hausname „Lentze“ von dem Vornamen „Lentz“ ableitet. Zurück zum Grabstein, wo folgender Text zu lesen ist:
Über dem Vater und den zwei älteren Söhnen, sowie über der Mutter und der älteren Tochter ist ein Kreuz, was bedeutet daß diese nicht mehr am Leben waren, als der Stein aufgestellt wurde. Demnach lebten zu diesem Zeitpunkt noch der jüngste Sohn und die jüngste Tochter. Die ganze Rückseite des Grabsteins ist ausgefüllt mit dem Leichentext nach
2. Timotheus, Vers 4: DENN ICH WERDE SCHON GEOPFERT, UND DIE ZEIT MEINES ABSCHIEDS IST FÜR HANDEN. ICH HAB EIN GUTEN KAMPF GEKÄMPFET, ICH HAB DEN LAUF VOLLEND, ICH HAB GLAUBEN GEHALTEN; HINFORT IST MIR BEYGELEGT DIE KRONE DER GERECHTIGKEIT, WELCHE MIR DER HERR AN IENEM TAGE, DER GERECHTE RICHTER, GEBEN WIRD, NICHT ABER MIR ALLEIN, SONDERN AUCH ALLEN, DIE SEINE ERSCHEINUNG LIEB HABEN.“
Der Grabstein gewährt uns einige Eindrücke vom Leben der Eheleute Koch und ihrer Zeit. Gertraut war 14 Jahre älter als Lentz. Der Dreißigjährige Krieg – von dem zu dieser Zeit noch niemand ahnen konnte, daß es ein Dreißigjähriger würde – währte bereits 11 Jahre, als beide 1629 heirateten. Gertraut war 34 und Lentz gerade 20 Jahre alt. Wie werden ihre Vorstellungen von der gemeinsamen Zukunft gewesen sein? Wir können es heute nicht mehr nachvollziehen. Über die Leiden der Menschen unserer Heimat während des großen Krieges haben wir vieles gelesen und gehört, das soll an dieser Stelle nicht abgehandelt werden, zumal uns das persönliche Schicksal der Eheleute Koch nicht überliefert ist. Wir wollen uns darauf beschränken, das Leben von Gertraut und Lentz in Beziehung zu den damaligen Gegebenheiten zu setzen, die sich aus den Daten des Grabsteins ergeben.
Die Hochzeit, so dürfen wir annehmen, fand in der Sotzbacher Kirche statt. Die Kirche hatte damals den gleichen Grundriß wie heute, aber zu der Zeit waren noch die schmalen gotischen Fenster vorhanden, welche den Innenraum nur spärlich erhellten und von dessen Gestaltung nichts überliefert ist. Die Trauung führte Christian Florer durch, der seit 1628 die Unterreichenbacher Pfarrstelle innehatte. Bevor Christian Florer nach Unterreichenbach kam, war er bereits seit 5 Jahren Hofprediger und Pfarrer in Birstein.
Als die Ysenburger Grafschaft vom Landgrafen Georg II. von Hessen-Darmstadt übernommen wurde, verließ Pfarrer Florer 1635 Unterreichenbach in Richtung Kurpfalz, da Darmstadt keine Reformierten Pfarrer duldete und so trat 1636 der Lutherische Pfarrer Andreas Coberstein seinen Dienst in Unterreichenbach an.
Die Untertanen des Gerichts Reichenbach wurden anlässlich der Übernahme entweder zum Birsteiner Schloß oder auf den Gerichtsplatz nach Unterreichenbach bestellt, wo sie den Huldigungseid gegenüber den Vertretern des Landgrafen von Hessen ablegen mußten. In gleicher Weise verfuhr man sieben Jahre später, als Graf Wilhelm Otto von Isenburg nach Birstein zurückkehrte und seinerseits die Huldigung entgegennahm. Wir dürfen vermuten, daß Lentz Koch zu beiden Terminen anwesend war.
Graf Wilhelm Otto entließ nun beim Regierungsantritt den Lutherischen Pfarrer Coberstein und holte 1643 wieder einen Reformierten nach Unterreichenbach: Johann Eberhard Leurelius. Die Untertanen wurden weder vom Landgrafen von Hessen noch vom Grafen von Isenburg nach einem Konfessionswechsel gefragt und niemand mußte einen förmlichen Übertritt zur jeweils anderen Konfession erklären. Es war einfach ein neuer Pfarrer da und das ganze Kirchspiel war nun, in der hessischen Zeit, Lutherisch und danach wieder Reformiert. Später gab es keinen weiteren Konfessionswechsel mehr. Aber dabei erfuhren die Leute, daß die jeweils Anderen eben auch nicht die „Bösen“ waren, weil man ja einmal zu Diesen und ein andermal zu Jenen gehörte.
Letzten Endes ist festzuhalten, daß Lentz und Gertraut Koch den Dreißigjährigen Krieg überlebten und wir können uns heute kaum ausmalen, was sie ihren Enkeln später aus der schlimmen Zeit erzählten. Nach dem Krieg kamen auch zahlreiche Bauern aus anderen Gegenden hierher und übernahmen leere Hofstellen. Die Kochs aber waren Sotzbacher, denn der Familienname „Koch“ ist schon aus der Zeit vor dem Krieg hier belegt.
Der Grabstein ist wie ein Portal gestaltet, bekrönt von einem kleinen dreieckigen Giebel in der Mitte, welcher an den beiden Seiten von nach innen gerollten spiraligen Säulenköpfen begleitet ist. Ebenso gestaltet sind die beiden schmalen Säulen, während die Schrifttafel von einem Perlenkranz umrahmt ist. Der Text ist in Deutsch mit Großbuchstaben geschrieben. (Latein stand manchmal noch auf herrschaftlichen Grabsteinen.) Es ist hier sicher kein Bildhauer, kein Künstler am Werk gewesen, aber es handelt sich um qualitätvolle Handwerksarbeit eines Steinmetzen, der vielleicht in Gelnhausen, Gründau oder Büdingen seine Werkstatt hatte. Man kann die Tracht der dargestellten Personen noch ganz gut erkenn, während die Gesichter ziemlich verwittert sind. Trotzdem ist in Anbetracht des Alters der Erhaltungszustand noch erstaunlich gut. Lentz Koch ist 1685 verstorben und so wurde der Grabstein wahrscheinlich wenige Jahre danach aufgestellt. Daraus ist zu schließen, dass sich die allgmeine wirtschaftliche Lage 40 Jahre nach dem Dreißigjährigen Krieg einigermaßen stabilisiert hatte, denn wer das Brot nicht über Nacht hatte, konnte auch keinen Grabstein bezahlen.
Der andere Grabstein ist fast 70 Jahr jünger und trägt folgenden Text:
Hier ist das Schriftbild in Frakturschrift gestaltet. Während der vorherige Grabstein wahrscheinlich von den Kindern zum Gedenken an beide Eltern errichtet wurde, wird mit diesem Stein der verstorbenen Ehefrau Anna Catharina Weber gedacht. Hier wird außerdem ihr Geburtsname und der Ort ihrer Geburt genannt und ihr Vater erwähnt, eben eine gewisse Selbstdarstellung der Familie. Anna Catharina wurde 44 Jahre alt und hat im Alter von 18 Jahren geheiratet. Von zehn Kindern haben nur Drei das Erwachsenenalter erreicht. Wie wir wissen, war in früheren Zeiten die Kindersterblichkeit hoch, und es gab Krankheiten, die heute leicht zu kurieren sind und früher oft tödlich waren. Es mußte nicht immer eine ansteckende Krankeit gewesen sein, was konnte man damals z.B. gegen eine Blinddarmentzündung tun? Auch Anna Catharina hatte ihre Krankheit mit dem Tod ausgestanden, die Formulierung im Text läßt an ein längeres Krankenlager denken.
Dieser Grabstein ist noch in der traditionellen Form, aber im Stil der 18. Jahrhunderts gestaltet. Wo vorher ein spitzer Giebel war, trägt dieses Portal nun einen Aufsatz in Form eines Halbkreises und aus den Säulenköpfen beidseits des Giebels wachsen Akanthusblätter. Der Akanthus war ein beliebtes Dekorationselement, steht aber auch symbolisch für die Unsterblichkeit und war deshalb in der Grabmalgestaltung sehr beliebt. Auch der Text schließt mit zwei Akanthusblättern ab. Der halbrunde Giebel trägt eine Krone, die „Krone des Lebens“, nach einem Spruch in Offenbarung 2, Vers 10: „Sei getreu bis in den Tod, so will ich dir die Krone des Lebens geben“
Die Krone trägt auf fünf Spitzen drei Blätter oder Blüten, die nicht unbedingt als Lilien zu erkennen sind, unterbrochen von zwei Perlen. Auf dem Reif der Krone sind 12 Perlen zu sehen, was ein Hinweis auf die 12 Tore des himmlischen Jerusalem ist („von zwölf Perlen sind die Tore“ nach Offenbarung 21, Vers. 21.). Auf der Rückseite ist nur ganz kurz die Bibelstelle des „Leichtextes“ angegeben, hier nach Hiob 13.